Ohne Vorwarnung piept, fiept oder pfeift es laut in einem Ohr. Einige Sekunden später ist es wieder vorbei. Manchmal ist das Hören auf dem betreffenden Ohr kurz gedämpft, oder man spürt ein Druckgefühl. Die meisten Menschen erleben das hin und wieder. Doch gerade Tinnitus-Betroffene sind dann oft beunruhigt: Ist das ein Warnsignal? Könnte das Geräusch anhalten? – Hier erfahren Sie, was hinter dem Phänomen steckt und wie Sie damit am besten umgehen.
„Plötzlich ein hohes Geräusch im Ohr“ – Was ist das?
Im Fachjargon heißt das Phänomen SBUTT – Sudden Brief Unilateral Tapering Tinnitus („Pötzliches, kurzes, einseitiges, abklingendes Ohrgeräusch“). Auf Deutsch wird es meist schlicht „flüchtiges Ohrgeräusch“ genannt.
Solche Geräusche sind in aller Regel völlig harmlos und kommen auch bei Menschen ohne länger anhaltenden Tinnitus häufig vor.
In einer Studie berichteten drei Viertel der Erwachsenen, so etwas schon erlebt zu haben – im Schnitt rund ein Mal im Monat, teils auch viel häufiger. In einem Viertel der Fälle ging das flüchtige Ohrgeräusch mit einer kurzen Hörminderung oder einem vorübergehenden Druck- oder Füllegefühl im Ohr einher.
Die typischen Merkmale eines flüchtigen Ohrgeräusches sind:
Wenn diese Faktoren bei Ihnen zutreffen, handelt es sich wahrscheinlich um ein flüchtiges Ohrgeräusch (SBUTT).
Warum passiert das überhaupt?
Hervorgerufen wird das kurze Piepen, Fiepen oder Pfeifen sehr wahrscheinlich durch kurzzeitige Funktionsschwankungen im Hörsystem – und nicht durch eine Schädigung. Folgende vier Ursachen kommen in Betracht:
1 Spontanaktivität im Hörsystem
Auch in einem völlig intakten Hörsystem gibt es unentwegt spontane Schwankungen der Nervenaktivität, sowohl in den Haarzellen im Innenohr als auch entlang der Hörbahn im Gehirn. Diese ganz natürliche Spontanaktivität hören wir normalerweise nicht. Manchmal kann sie aber „überschießen“ und als kurzes, hochfrequentes Geräusch hörbar werden, bevor sie wieder auf ein normales Niveau zurückfällt.
2 Erhöhte Reizempfindlichkeit
Wenn das Nervensystem stärker beansprucht ist (z.B. durch Stress, Schlafmangel, körperliche Ermüdung), kann das Hörsystem empfindlicher reagieren. Kleinste Schwankungen werden dann stärker wahrgenommen.
3 Somatosensorische Einflüsse
Auch Verspannungen oder Störungen von Kiefer, Nackenmuskulatur oder Halswirbelsäule können flüchtige Ohrgeräusche begünstigen. Denn diese Teile des Bewegungsapparats können über entsprechende Nervenverbindungen oder mechanische Wechselwirkungen das Hörsystem kurz beeinflussen.
4 Mittelohrdruck und Belüftung
Daneben können auch kurzzeitige Veränderungen in der Belüftung des Mittelohres (z.B. durch die Eustachische Röhre) zu einem flüchtigen Ohrgeräusch führen. Besonders wenn im Nachgang ein Druck- oder Vollheitsgefühl wahrgenommen wird, kann das auf einen schwankenden Druckausgleich hindeuten.
Zusammenspiel
Meist entsteht ein flüchtiges Ohrgeräusch wahrscheinlich durch ein Zusammenwirken von zwei oder mehr dieser Faktoren, z.B. durch eine kurzzeitig „überschießende“ Spontanaktivität, die dann erst durch eine erhöhte Reizempfindlichkeit bewusst wahrgenommen wird.
Was, wenn es häufiger auftritt?
Wenn solche vorübergehenden Wahrnehmungen phasenweise gehäuft auftreten, liegt das meist an einem oder mehreren typischen „Verstärkern“:
- Stress
- Schlafmangel, Übermüdung
- körperliche Beanspruchung / Anspannung
- Hitze, Dehydration
- Lärm (auch moderat)
- Verspannungen oder Fehlbelastungen im Kiefer-/Nackenbereich
- erhöhte Aufmerksamkeit für die Ohren bzw. das Hören
- Migräne-Neigung
All diese Faktoren können dazu führen, dass das Hörsystem (vorübergehend) empfindlicher und „reizbarer“ wird.
Dies kann die Wahrnehmung eines bestehenden Tinnitus verstärken, aber auch flüchtige Ohrgeräusche (SBUTT) begünstigen.
Wenn also in bestimmten Phasen oder bei bestimmten Belastungen häufiger mal ein kurzes Piepen, Fiepen oder Pfeifen auftritt, liegt das in der Regel an einer erhöhten „Reizbereitschaft“ des Hörsystems.
Bei Tinnitus-Betroffenen öfter
Besagte Studie ergab auch, dass flüchtige Ohrgeräusche von Menschen mit einem anhaltenden Tinnitus häufiger bemerkt bzw. angegeben werden – etwa doppelt so häufig von Menschen ohne Tinnitus.
Dafür gibt es aber auch sehr plausible Erklärungen:
Höhere Empfindlichkeit
Das Hörsystem ist bei vielen Tinnitus-Betroffenen sensibler und instabiler. Dadurch kommt es leichter zu kurzen Funktionsschwankungen, die flüchtige Ohrgeräusche hervorrufen können.
Größere Aufmerksamkeit
Viele Tinnitus-Betroffene sind verständlicherweise aufmerksamer oder wachsamer gegenüber Veränderungen im Hören – und nehmen dadurch Geräusche bewusst wahr, die andere kaum beachten.
Das heißt: Während ein flüchtiges Ohrgeräusch von einem Mensch ohne Tinnitus eher überhört oder schnell vergessen wird, wird es von Tinnitus-Betroffenen tendenziell eher bemerkt und erinnert.
Typische Einflussfaktoren
Die oben genannten „Verstärker“ (Belastungen wie Stress, Schlafmangel oder Kiefer-/Nackenverspannungen sind) sind bei Tinnitus-Betroffenen oft präsenter. Das begünstigt das Auftreten flüchtiger Ohrgeräusche.
Keine größere Gefahr
Dass flüchtige Ohrgeräusche von Tinnitus-Betroffenen häufiger bemerkt werden, macht diese aber nicht „gefährlicher“. Anders gesagt: Ein SBUTT bei einem Mensch mit Tinnitus ist nicht weniger harmlos.
Kann daraus ein Tinnitus werden?
Verständlicherweise haben Tinnitus-Betroffene aber häufig die Sorge, dass aus einem dieser flüchtigen Ohrgeräusche ein länger anhaltender, zusätzlicher Tinnitus werden könnte.
Wer bereits mit einem Tinnitus lebt, ist eher beunruhigt, wenn plötzlich – vielleicht immer wieder mal – flüchtige Ohrgeräusche auftreten: „Kommt da noch ein Tinnitus dazu?“
Diese Sorge ist ganz normal. Sie können sich aber klarmachen, dass es sich um zwei unterschiedliche Phänomene handelt.
Flüchtige Ohrgeräusche (SBUTT) beruhen auf Funktionsschwankungen im Hörsystem und sind extrem häufig. Drei Viertel aller Erwachsenen erleben Sie, auch jüngere oder völlig gesunde Menschen mit intaktem Gehör.
Diese flüchtigen Ohrgeräusche sind also kein Anzeichen dafür, dass eine weitere Hörschädigung vorliegt oder ein neuer Tinnitus entsteht. Sie sind typischerweise harmlos und klingen von selbst wieder ab.
Auch in der Forschung gibt es bislang keine Hinweise, dass isolierte SBUTT-Wahrnehmungen in einen zusätzlichen, dauerhaften Tinnitus übergehen. Ein Restrisiko lässt sich zwar nicht ausschließen, weil es keine großen Langzeitstudien gibt, die eine absolute Unbedenklichkeit belegen könnten.
Die Wahrscheinlichkeit, dass aus einem solchen kurzen Hörereignis ein neuer Tinnitus entsteht, ist aber nach allem, was wir wissen, äußerst gering. Mit diesem Artikel wollen wir dazu beitragen, dass Sie umso gelassener reagieren und die flüchtige Wahrnehmung umso leichter wieder „loslassen“ können.
Wie reagiere ich am besten?
Es gibt gar nicht viel zu tun. Weniger ist hier mehr. Schließlich liegt es in der Natur dieser flüchtigen Ohrgeräusche, dass sie von ganz allein wieder abklingen, auch wenn Sie gar nichts machen.
Wenn Sie mögen, können Sie einfach Folgendes tun, wenn Sie wieder ein solches Geräusch bemerken:
- Atmen Sie ein paar Mal tief und bewusst durch.
- Machen Sie sich klar: „Es ist gar nichts Besonderes. Nur wieder so ein flüchtiges Ohrgeräusch.“
- Richten Sie Ihre Aufmerksamkeit zurück auf das, bei dem Sie gerade waren. Geben Sie dem Geräusch nicht unnötig Aufmerksamkeit.
Zusätzlich, falls Sie den Verdacht haben, dass der Bewegungsapparat (Kiefer, Nackenmuskulatur, HWS) hineinspielt oder Sie sich verspannt fühlen:
- Lockern Sie kurz sanft Kiefer und Schultern.
- Richten Sie Rücken und Halswirbelsäule ohne Anstrengung gerade auf.
Falls Sie Druck oder Füllegefühl bemerken:
- Schlucken oder gähnen Sie einmal ruhig. Dadurch können Sie einen sanften Druckausgleich vornehmen.
Das Wichtigste ist: Gelassenheit. Indem Sie dem Geräusch keine besondere Bedeutung beimessen und keine unnötige Aufmerksamkeit widmen, entsteht kein innerer „Nachhorch-Kreislauf“.
Stattdessen lassen Sie die Wahrnehmung einfach wieder vorbeiziehen.
Wann sollte ich zum Arzt gehen?
Bitte beachten Sie, dass dieser allgemeine Ratgeber-Artikel natürlich keine individuelle ärztliche Abklärung ersetzen kann. Er soll auch nicht der Selbstdiagnose dienen. Konsultieren Sie daher bitte ggf. Ihren Hausarzt oder HNO-Arzt.
Bei diesen Warnzeichen wäre eine HNO-medizinische Abklärung unbedingt ratsam:
- Wenn das Geräusch nicht wieder abklingt oder über Stunden anhält
- Wenn das flüchtige Ohrgeräusch mit Druckgefühl im Ohr verbunden ist und der Druck länger (mehrere Minuten bis Stunden oder gar Tage) anhält; dann ist abzuklären, ob eine Belüftungsstörung der Ohrtrompete („Eustachische Röhre“, verbindet das Mittelohr mit dem Nasenrachen) o.Ä. vorliegt.
- Wenn gleichzeitig plötzlicher Hörverlust oder andere Hörveränderungen auftreten und diese länger anhalten. (Ein Hörsturz wäre ein HNO-medizinischer Notfall, der immer umgehend abgeklärt werden sollte.)
- Wenn Schwindel, Ohrenschmerzen, Ausfluss oder andere neurologische Symptome hinzukommen
- Wenn die flüchtigen Ohrgeräusche sehr häufig (mehrmals täglich) auftreten und/oder belastend werden
- Wenn ein pulssynchrones Ohrgeräusch auftritt bzw. hinzukommt.
Flüchtige Hörminderung
Jenseits des „flüchtigen Ohrgeräusches“ (SBUTT) gibt es in der anglo-amerikanischen Fachliteratur noch einen verwandten Begriff: die „flüchtige Hörminderung“ oder „vorübergehende Hörstörung“ („Transitory Auditory Dysfunction“ – TAD).
Dabei handelt es sich um eine plötzliche, kurzzeitige Hörminderung (ein- oder beidseitig), die meist von einem – ebenfalls flüchtigen – hochfrequenten Ohrgeräusch begleitet wird und nach kurzer Dauer (im Schnitt 40 Sekunden) wieder vollständig abklingt.
Vermutlich handelt es sich dabei nicht um ein gänzlich unterschiedliches Phänomen, sondern um eine andere klinische Beschreibung des gleichen Grundphänomens, mit einer großen Schnittmenge zu SBUTT.
Bei der „flüchtigen Hörminderung“, die unter deutschsprachigen Medizinern kaum bekannt ist, liegt der Fokus aber auf einer merklichen Störung des Hörvermögens, weniger auf dem Ohrgeräusch.
Fazit
Ein plötzliches Piepen, Fiepen oder Pfeifen in einem Ohr, das nur wenige Sekunden (manchmal auch eine halbe Minute oder länger) anhält und anschließend wieder abklingt, ist typisch für das bekannte Phänomen SBUTT.
Solche flüchtigen Ohrgeräusche kommen bei den meisten Menschen vor. Sie sind in aller Regel völlig harmlos, kein Anzeichen für eine (neue) Hörschädigung und auch kein Vorbote für einen (neuen) Tinnitus.
Es handelt sich um ein „Mikro-Ereignis“ des Hörsystems, das vorkommen darf und dem man am besten mit Gelassenheit begegnet: So wie man manchmal ein Muskelzucken spürt, kann das Ohr auch mal kurz piepen.
Häufige Fragen
Was tun bei plötzlichem Piepen im Ohr?
Wenn ein Ohr plötzlich kurz piept, fiept oder pfeift, hilft es, ruhig zu bleiben: bewusst atmen, kurz schlucken oder gähnen, und dann die Aufmerksamkeit wieder auf etwas anderes lenken.
Es handelt sich um ein bekanntes, gewöhnliches Phänomen, das die meisten Menschen ab und zu erleben. Typischerweise verschwindet diese Art von Ohrgeräusch innerhalb weniger Sekunden von selbst.
Ist ein kurzzeitiges Ohrgeräusch schon Tinnitus?
Nein. Ein Ohrgeräusch, das nur einige Sekunden oder Minuten andauert wird im deutschsprachigen Raum nicht als Tinnitus bezeichnet. Eine verbindliche Übereinkunft gibt es zwar nicht, aber meist werden Ohrgeräusche erst dann als (akuter) Tinnitus bezeichnet, wenn sie länger als 24 Stunden anhalten.
Der Begriff „Sudden Brief Unilateral Tapering Tinnitus“ (SBUTT, „flüchtiges Ohrgeräusch“) stammt aus der englischsprachigen Forschung. Dort wird „Tinnitus“ oft weiter gefasst, für jegliche Geräusch-Wahrnehmungen, die nicht von äußeren Schallquellen (oder vom eigenen Körper) ausgehen.
Kann Stress Fiepen im Ohr auslösen?
Ja, Stress, Müdigkeit oder körperliche Anspannung können das Hörsystem empfindlicher machen. Dann treten flüchtige Ohrgeräusche öfter auf. Sie sind trotzdem harmlos. Wichtig ist, ihnen keine übergroße Bedeutung zu geben.
Ist das gefährlich, wenn mein Ohr immer wieder kurz fiept?
Nein. Wenn das Fiepen, Piepen oder Pfeifen jedes Mal nach wenigen Sekunden wieder verschwindet, ist das in aller Regel völlig harmlos und unbedenklich.
Wenn das Ohrgeräusch aber länger anhält, mit anhaltendem Hörverlust, Schwindel, Druckgefühl oder Pulsieren einhergeht, sollten Sie es HNO-ärztlich abklären lassen.
Warum habe ich nach kurzem Piepen Druck im Ohr?
Das bekannte und harmlose Phänomen „flüchtiges Ohrgeräusch“ geht oft mit einem kurzen Druck- oder Füllegefühl im Ohr einher. Das ist nichts Ungewöhnliches.
Wenn das Druckgefühl jedoch länger anhält (mehrere Minuten bis Stunden) oder regelmäßig wiederkehrt, lohnt sich eine HNO-ärztliche Abklärung, um z.B. eine Belüftungsstörung der Ohrtrompete auszuschließen.
Kommt kurzes Piepen im Ohr bei Menschen mit Tinnitus öfter vor?
Ja. Eine Studie zeigte: Wer schon einen Tinnitus hat, erlebt flüchtige Ohrgeräusche etwa doppelt so häufig wie Menschen ohne Tinnitus.
Das liegt in der Regel schlicht daran, dass das Hörsystem von Tinnitus-Betroffenen oft sensibler ist und diese Menschen aufmerksamer und wachsamer für Veränderungen im Hören sind. Daher nehmen Tinnitus-Betroffene solche kurzen Ohrgeräusche bewusster wahr und erinnern sich eher daran.
Quellen
- Oron, Yahav / Roth, Yehudah / Levine, Robert Aaron (2011): Sudden Brief Unilateral Tapering Tinnitus: Prevalence and Properties. Otology & Neurotology, Vol. 32 (9).
- Levine, Robert Aaron / Lerner, Ynon (2021). Sudden Brief Unilateral Tapering Tinnitus: Prevalence and Possible Somatosensory Mechanism. Otology & Neurotology, 42(6).
- Almond, Laurence Maximilian / Patel, Ketul / Rejali, Darius (2013). Transient auditory dysfunction: a Description and Study of Prevalence. Ear Nose Throat Journal, 92(8).
- Eggermont, Jos J. / Roberts, Larry E. (2012). The Neuroscience of Tinnitus: Understanding Abnormal and Normal Auditory Perception. Frontiers in Systems Neuroscience, 6, 53.
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